Wiesenbaude

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Quelle: Riesengebirgsheimat – Heimatblatt für die ehemaligen Kreise Trautenau und Hohenelbe – 8. Folge, August 1950
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Aus der Geschichte der Riesengebirgsbauden
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325 Jahre Wiesenbaude
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Als im Jahre 1869 Wenzel Hollmann, der damalige Besitzer der Wiesenbaude, die sogenannte "Wasserradstube" umbaute, stieß der Spaten auf einen Stein, der, grob behauen und mit der eingemeißelten Jahreszahl 1623 versehen, sich als sichtbarster frühester Zeuge der alten Wiesenbaude entpuppte. Er wird vielleicht noch heute seinen Ehrenplatz im Verandamauerwerk der Wiesenbaude behauptet haben.
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Dieser Findling dürfte aus dem steinernen Fundament stammen, auf dem nach dem Brande im Jahre 1625 die Keimzelle der heutigen Baude im Angesicht der Koppe erwuchs. Das einfache Blockhaus vor 1625 ragt mit seiner Geschichte in die Sage hinein, in welcher das älteste menschliche Thema der Liebe und der Glaubenskampf der damaligen Zeit den Stoff gestalteten.
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Nach Beendigung des Dreißigjährigen Krieges wird die Sankt Laurentius-Kapelle auf der Koppe in den Jahren von 1668 bis 1681 erbaut. Die Bauarbeiter entdecken, so erzählen zeitgenössische Berichte, zu ihrem Erstaunen in der grenzenlosen Einsamkeit der weißen Wiese eine Baude, in welcher die "Renner-Leute" hausen.
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Die geweihte Kapelle ist nicht der letzte Anlaß, daß der Besuch der Koppe in den Sommermonaten sich immer mehr einbürgert und Hampel- wie Wiesenbaude sind die Stationen vor der endgültigen Besteigung. In einem zeitgenössischen Bericht heißt es, daß die Mehrzahl der Reisenden, obgleich sie zum Sonnenaufgang auf der Koppe früh aufzubrechen hatten, ihre heiteren Unterhaltungen bis in die späten Nachtstunden in der Baude aufrechterhielten, ohne Rücksicht auf die Ruhe schweigsamerer Schlafgenossen zu nehmen. Mädchen und Frauen, junge Burschen und alte Männer suchten sich, so gut es ging, im Heu eine Schlafstelle. In der Baudenstube bildeten die Diele oder die Ofenbank die Ruhestätte. Der Gast, der hier nächtigte, konnte dann beim Erwachen Zeuge eines interessanten Familienlebens werden. Aus allen Ecken krochen die kleinen Wirtskinder, deren jede Baude eine erstaunliche Anzahl beherbergte. "Ein einziges Röckchen wird vom Leibe geschüttelt und dient als Kopfkissen, die harte Bank oder Diele dient als Unterbett, Haut und Hemde sind die Decke."
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Die Wiesenbaude galt schon in jenen Tagen nicht nur als alte, sondern auch als reiche Baude, und als in der letzten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Kraft des Weißwassers, arbeitend im sogenannten "Buttergewerke", ausgenützt wurde, geriet durch diese technische Tat die Baude in vieler Leute Mund und lockte immer mehr Besucher. Manch einer ergötzte sich daran, wie die findigen Wirtsleute sogar die Wiege durch das Weißwasser treiben ließen.
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Schon verhältnismäßig zeitig muß die Wiesenbaude auch im Winter eine Stammbesatzung gehabt haben. W. Christian Weiß erzählt in seinen "Wanderungen in Sachsen und Schlesien" (Leipzig 1796), daß die Wiesenbaude im Winter einen Viehstand von 17 Kühen und 12 Ziegen, im Sommer mehr als den doppelten hatte. "Man sieht überall Wohlhabenheit und in wirtschaftlichen Dingen sogar Überfluß in ihr. Der Wirt war eben im Begriff, in ein böhmisches Städtchen zum Jahrmarkt zu reisen, und wir sahen ihn dazu eine weiße Weste von gutem Sommerzeug mit bunter Kante und einen ganz städtischen Rock anlegen."
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Theodor Körner, der zu seinen Zeiten das Rübezahlgebirge nicht nur wegen seiner landschaftlichen Schönheiten schätzte, sondern sein Herz so beiläufig in der Alten Schlesischen Baude verloren hatte, war nach einem alten Gästebuch am 21. September 1809 Besucher der Wiesenbaude, und es dürfte nicht ausgeschlossen sein, daß auch Ludwig Richter wie Caspar David Friedrich, die uns Riesengebirgsbilder jener Zeit schenkten, die bekannte Baude am Fuß des Brunnberges besuchten.
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Auch Karl v. Holtei übernachtete am 24. August 1818, von einer Koppenbesteigung kommend, in der Baude. Er fand dort den Besitzer, "den Vater Renner, einen heiteren Greis", Brot knetend, seine Frau, "ein kleines, bewuschpertes (lebendiges) Figürchen", Käse machend, die Tochter Monika, "ein hübsches Ding" und deren Bruder, "einen rüstigen Knaben vom Berge". Holtei widmete der Wiesenbaude für´s Gästebuch ein längeres Sonett.
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Als 1833 das alleinstehende Sommerhaus infolge stetig wachsenden Besucherstromes erbaut werden muß, das durch seinen umbauten Verbindungsgang zum Haupthaus noch in der Erinnerung vieler sein wird, schlug man an den damaligen Neubau folgende Inschrift: "Erbaut in diesem Jahr, da die wahrheit noch Teuer war. Dieses Haus stehet in Gottes Hand beim Augustin Renner wird es genannt. Anno 1833."
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Unter der Obhut Jakob Renners, des Sohnes des eben Genannten, der ein vorzüglicher Wirt war, ereignete sich die mysteröse Geschichte mit der Falschmünzerbande. Fünf rätselvolle Gäste, hier oben aller polizeilichen Nachforschungen sicher und wohl getarnt durch den dauernd wechselnden Besucherstrom, fallen dem Wirt schon lange auf. Er erzählt einem Besucher, einem höheren böhmischen Justizbeamten, von den eigenartigen Gästen. Als auf dessen Veranlassung eine umfassende Durchsuchung der Baude angeordnet wird, entdeckt man erstaunliche Vorräte an silbernem Falschgeld und das dazugehörige Werkzeug.
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Herloßsohn, ein Wanderer aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts, schildert 1849, daß er zu seinem Erstaunen den gewaltigen Kachelofen der Wiesenbaude mitten im Juli geheizt fand. "Landleute aus Böhmen, Handwerksburschen, Bergwanderer, Führer überfüllten die geräumige Wirtsstube. Obgleich viel Wäschezeug um den Ofen hing und sehr viele Pfeifen dampften, was einen unangenehmen Dunst verbreitete, ward uns doch bald wohl auf behaglichem Sitz an einem Extratisch in der Wärme bei einer Labung von Forellen, Wein, Eierkuchen, Koppenkäse. Auch fehlte lustige Musik von Geigen, Clarinetten und Brummbaß nicht."
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Jakob Renner, der tüchtige Wiesenbaudenwirt, schon einige Jahre im Ausgedinge lebend, findet unterhalb der Kapelle am Paßsattel zwischen Brunn- und Hochwiesenberg im Schneesturm den Bergtod, fast an der gleichen Stelle, wo 1798 sein Oheim beim Holzfahren tödlich verunglückte. Auch die Tochter Monika ist an dieser Stelle 1856 dem Erfrierungstode nahe. Ihr Junge Johann rettet sie im letzten Augenblick. Drei Jahre vor diesem Unfall hatte eben ihr Mann, Wenzel Hollmann, die Baude übernommen. Sein Sohn Johann Hollmann, der seine Mutter einst vom Bergtode errettete, verkaufte die 1875 wesentlich aufgestockte Baude an Christoph Häring ein Jahr nach der Erweiterung. Zehn Jahre später erwerben sie die Gebrüder Bönsch, die aus der Wiesenbaude, nicht zuletzt mit dem rasch aufblühenden Wintersport als Helfer, die "Wiese" zu der "kleinen Stadt" auf dem Kamme machten, wie die meisten von uns sie noch in Erinnerung haben.
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In der "Wiese", wie die Baude kurzweg im Mundgebrauch der Gebirgler genannt wurde, trafen sich die Zünftigen Sommer wie Winter.  Zum immerwährenden Treffen der Gleichgesinnten und Gäste ließ Meister Soucoup die Zither klingen, während auf enger und engster Tanzfläche die Paare in der rauchdurchwölkten Luft zu tanzen versuchten. Derweilen flammte vom höchsten Punkt der mehrere Stockwerk hohen Baude das starkkerzige Blinkfeuer durchs tobende Wetter, das denen, die noch unterwegs waren, den Weg zur Baude wies. Den Strom für diese Anlage und die gesamte Baudenbeleuchtung lieferte ein eigenes Elektrizitätswerk, das von der Kraft des jungen Weißwassers, die einst auch das "Buttergewerke" in Bewegung setzte, getrieben wurde. Seine Wartung besorgte u. a. auch Herbert Beutel (heute Deggendorf im Bayrischen Walde). Er wurde einst in Ausübung dieses Postens von einem Schneebrett im Weißwassergrunde verschüttet, von der Rettungsmannschaft der Wiesenbaude (Otto Berauer, Emil Bönsch. Franz Ruhs, Adalbert Wießner und Franz Klein) wie durch ein Wunder lebend geborgen. Die "Kölnische Illustrierte" brachte seinerzeit dieses Riesengebirgserlebnis als gestalteten Tatsachenbericht. Voll besetzt waren immer die Tische der "Skischule Wiesenbaude", die durch die Namen der drei Berauer, Adolf, Otto und Gustel, dem späteren Skiweltmeister der Nordischen Kombination (1939 Zakopane), zu einem Begriff des Riesengebirges wurde. Adolf, der älteste, starb durch die Tschechen, Otto, der vitale, liebenswerte Bursche, fiel im Kriege. Sein tiefbraunes Gesicht, in dem blau wie der Riesengebirgshimmel an einem Märzsonnentage die Augen leuchteten, wird jedem, der ihn kannte, unvergessen wie die Riesengebirgsheimat selber bleiben.
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Als einziges sichtbares Andenken seines vielfältigen Skilehrer- und Rennläuferlebens (Bürgermeister von Petzer war er auch später) hing an der Wiesenbaudenwand das Foto seines Quersprunges vorn dorfkirchturmhohen Dach der Baude in die riesige Schneewehe, die zum steten Winterinventar des Hauses auf der Koppenseite gehörte.
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Ganz im dunklen Hintergrunde hinter dem langen Schanktische, dem gewöhnlichen Besucher kaum auffallend, dem Wiesenbaudenstammgast vertraut wie all die anderen markanten Merkwürdigkeiten der großen Baude, saß Urahn Vinzenz Bönsch senior. Seine hagere, zähe Gebirglergestalt lebte gewissermaßen in dem hohen Lehnstuhl. Prüfend und mit innerer Anteilnahme verfolgte er den kaum abebbenden Betrieb seiner Baude, die bis auf wenige Wochen im Jahr fast immer Hochbetrieb hatte. Als er einst die wunderbar gelegene Baude mit übernahm, mögen sich vielleicht in seiner kühnsten Pionierphantasie einmal diese Baudenbilder gezeigt haben. Daß sie noch zu seinen Lebzeiten Wirklichkeit wurden, schenkte ihm Freude an seinem langen Lebensabend. Manch alten Wiesenbaudenfreund sah man bei diesem Schöpfer des alten Wiesenbaudengeistes sitzen und die Erinnerung ging nur zu gern in vergangene Zeiten, die uns jüngere Bergwanderer fast so ehrfürchtig anmutete wie die, da noch der vielfältige Wundergeist des alten Rübezahls in unserem lieben Heimatgebirge waltete.
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Hinter der Theke aber herrschte "Onkel Emil" und der Flugzeugführer des ersten Weltkrieges, Eugen Bönsch, der heute in Österreich, auch nicht mehr der Jüngste, sich schwer sein Brot verdienen muß. Er verknüpfte mit der Wiesenbaude den Begriff der Segelfliegerei und in Zusammenarbeit mit Herbert Beutel das bisher nur im Riesengebirge gepflegte Skisegeln. Wenn in der Nacht zum 1. Mai Eugens Geburtstag wie ein gewaltiges Walpurgisfest gefeiert wurde, fiel dies Baudenereignis zumeist mit des Riesengebirges letztem großen Skirennen, dem internationalen Mairennen (Abfahrtslauf im Wörlichgraben) zusammen, in welchem festliches Erlebnis und sportlicher Winterausklang sich glückhaft, unter der Teilnahme bester alpiner Kräfte der Alpen und des Schwarzwaldes, unvergeßlich verband.
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Es würde zu weit führen, alle die aufzuzählen, welche durch ihre Persönlichkeiten den Typ der riesenhaften Wiesenbaude prägen halfen.
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Unsere Bauden in Rübezahls Reich waren, das mag der kurze kulturgeschichtliche Aufriß skizziert haben, Kristallisationspunkte deutscher Kolonistenarbeit und gemütlicher, herzlicher Lebensfreude in dem Heimatgebirge, in welchem sich die Weichheit des Südens mit der Wetterhärte des Nordens trefflich band. Wie magnetisch zogen diese Bauden Wander- und Winterfreunde an.
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Alles vorbei ... alles vergessen?
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Wir berichten nun nichts Neues, dürfen dies aber als die letzten Striche an dem Bilde der Wiesenbaude nicht vergessen. Hans Fuchs, der als Enkel des alten Vater Bönsch die im Oktober 1938 zerstörte Wiesenbaude schon einmal wiederaufgebaut hatte, hat nach schicksalverwirrter Wanderung, aber immer erfüllt und nicht zuletzt getrieben vorn Geist der "alten Wiese", sie gewissermaßen neu gebaut. Heißt sie auch heut nach dem Mundgebrauch ihrer Allgäuer Berge die "Kahlrückenalpe", so nennt sie doch jeder Schlesier und Sudetendeutsche einfach, er kann es eben nicht anders, die "neue Wiesenbaude". Dahin wallfahren jetzt viele der Verstreuten, sparen oft ein Jahr und länger, um zu dieser Sennhütte in 1200 Meter Kammhöhe bei Sigiswang über Sonthofen zu kommen.
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Wie in jenen Tagen von Krummhübel oder Petzer, steigt man heute von Sonthofen oder Fischen an die zwei Stunden, je nach Fußbegabung, zu Berg, begleitet von ähnlichen blechgestanzten Markierungstafeln, wie sie Sitte an der historischen Stangenmarkierung des Riesengebirges waren. Neuerdings verkehrt ab Bahnhof Sonthofen bis Sigiswang ein Autobus zweimal täglich von den Hauptzügen. Dann schafft man es ab Café Sigisfried in etwa 35-40 Minuten. In der Hörnergruppe und dem Rangiswanghorn, das mit 1615 Metern Schneekoppenhöhe "übernommen" hat, sucht man die Konturen der Rübezahlberge erinnernd und ist beglückt, auf der Speisekarte der Hütte Wiesenbaudenspezialitäten wiederzufinden.
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Wo in Restdeutschland werden so viele "Weißt du noch ... ?" von Berg- und Skifreunden in schlesischer und sudetendeutscher Mundart über den Holztisch gewechselt und der wehmütige Klang verliert seine Schwere, weil ringsum Berge und die gastliche Herzlichkeit dessen ist, der gewissermaßen durch seine Tatkraft es verstand, eine wahrhaftige Riesengebirgsbaude für uns alle in seinem Vertriebenengepäck mitzunehmen.
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Geka
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Quelle: Riesengebirgsheimat – Heimatblatt für die ehemaligen Kreise Trautenau und Hohenelbe – 8. Folge, August 1951
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Skisegeln an der Wiesenbaude
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Von Herbert Beutel
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Wohl kein Gebirge Mitteleuropas eignete sich so ideal zum Skisegeln als gerade das wellige Hochplateau rings um die Wiesenbaude im Riesengebirge. Und doch mußten Jahrzehnte vergehen, ehe dieser Pionierarbeit voller Erfolg beschieden war.
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Es war das Jahr 1929. An der Wiesenbaude kam ein neuer Sport zur Geltung. Mein Onkel Eugen Bönsch, der bekannte Kampfflieger des ersten Weltkrieges, flog seine Segelflugzeuge über die Höhen des Riesengebirgskammes und bildete mit dem später berühmten Edmund Schneider aus Grunau bei Hirschberg, dem Erbauer der ersten Wiesenbaudensegelflugzeuge, und einem Prager Fluglehrer die ersten Segelflieger aus. Auch ich gehörte zu den ersten geprüften Segelfliegern und bekam dadurch ein besonderes Interesse für Auf‑ und Fallwinde sowie Winddruck am Hang. So kam ich auf die Idee, nicht nur segelnd zu fliegen, sondern auch mit Skiern zu segeln. Unter Anleitung meines erfahrenen Flugonkels baute ich mir den ersten Skisegelapparat. Er bestand aus einem Trägergestell, eine Art Rucksackgestell, an dem durch Scharniere zwei Flügel ‑ Schmetterlingsform ‑ aus Sperrholzplatten beweglich befestigt waren: die ich mit Griffen bei ausgestreckten, seitlich waagerechten Armen festhalten konnte. Alter Anfang war schwer, und mancher Flügel brach und begrub mich unter seinen Trümmern. Neue Flügel wurden in verschiedenen Größen unentwegt gebaut. Man nannte mich in dieser Zeit spöttisch den Amorherbert. Da fand ich durch Zufall am Boden zwei riesengroße und starke Bambusstangen, an deren Ende noch Ringe befestigt waren. Mein Onkel Emil Bönsch, der ja schon Jahrzehnte vor mir auf der Wiesenbaude war, konnte mir diesen rätselhaften Fund erklären. Kein Geringerer als Herr Geheimrat Dr. Weinhold aus Breslau, ein treuer, lieber und verehrter Gast der Wiesenbaude bis in sein hohes Alter, hatte damit vor Jahrzehnten sein erstes Skisegel gebaut. Es war ein Dreiecksegel von riesiger Größe, und wohl Rübezahl selbst hätte damit Erfolg haben können. Mir gaben jedoch diese beiden Stangen, die einen langen Dornröschenschlaf auf der Wiesenbaude gehalten hatten, neue Ideen, neuen Mut und Hoffnung.
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Seit die Segelflugzeuge "Wiesenbaude I und II", die "Krummhübel", die "Burkbraun", der Zweisitzer "Bad Warmbrunn" im friedlichen Flug über Grenzen flogen, kamen auch bekannte Flieger zur Baude. Wolf Hirth landete in der Nähe der Wiesenbaude, und die Weltrekordfallschirmpilotin Lola Schröter landete bei einem Bergturnfest im Fallschirm an der Wiesenbaude. Lola Schröter verschaffte mir aus einer Flugzeugfabrik Leichtmetallstangen und ein Berliner Segeltucherzeuger die Leinwand zum Bespannen des Segels. Es entstand das erste schnittige, leichte und handliche Skisegel "Wiesenbaude l".
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Jedem neuen Anfang und Beginnen stand wohl Rübezahl mit Grollen entgegen. Er wehrte sich mit seinen Kräften in langer Zeit, wenn Eindringlinge aus Tälern und Städten und Kinder seiner Berge sich erkühnten, in sein Heiligtum und stilles Bergreich im menschlichen Ansturm einzudringen. Auch Flugzeuge stürzten, Segelflugzeuge zerbrachen, Skisegel zerflatterten, Lawinen rollten, und Sportler des Skisports kamen oft in schwere Bergnot. Doch Rübezahl söhnte sich wohl mit allen aus, und Mittler wurden seine Bergkinder, die still und bescheiden ihr herbes, entbehrungsreiches Leben in nimmermüder und regsamer Schaffensarbeit sich seinen Gesetzen liebevoll unterordneten und so Rübezahls Reich erschlossen, das der Kraftquell und Gesundbrunnen so vieler Menschen wurde.
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So stand auch unserem Skisegeln nach vielen Mißerfolgen doch noch ein beachtlicher Erfolg zu. Von Norden, Osten und Westen strömten Rübezahls Druckwinde mit unverminderter Kraft zum Hochplateau, und bald fuhren wir mit dem richtigen Skisegel wie Rübezahls Kobolde umher, und mancher Skifahrer wird an Spuk geglaubt haben, wenn wir bei Nebel in eilender Geschwindigkeit an ihm gespensterhaft vorbeihuschten.
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Unsere langerprobten Segel hatten eine Größe von 3,5 bis 4 Quadratmeter. Die beschafften Leichtmetallstangen wurden in T‑Form aneinandergeschweißt, an deren Enden sich ebenfalls Ringe zum Festhalten der gespannten Leinwand befanden. Die Leinwand wurde beschriftet, und so hatten wir schon eine kleine Regatta von 4 Skisegeln.
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Im Windschatten der großen Wiesenbaude gingen wir zum Start. Die Skier in leichter Stemmstellung, kämpfte man schon gegen den ersten Winddruck an. Im Schlittschuhschritt ging es nun in den vollen Wind, der uns mit steigender Geschwindigkeit den Brunnberg hochtrieb. Es war nicht leicht, bei voller Geschwindigkeit und stärkstem Winddruck das Segel vom Körper (Rücken) zu bekommen. Dies mußte ruckartig geschehen, um es, mit der linken oder rechten Hand hochhaltend, im Winde flattern zu lassen. Dieser Augenblick war stets an der Anblaskante am Gipfel des Brunnberges gegeben. In voller Fahrt, das Segel hochhaltend und im Winde flattern lassend, fuhren wir um die Amalienruh', das Gipfelwahrzeichen des Brunnberges, herum, um in Schußfahrt wieder abwärts zu gleiten. Verpaßte man diesen Augenblick an der Anblaskante, wurde man in fliegender Geschwindigkeit gegen den Blaugrund gejagt. Dann waren schwere und schmerzliche Stürze unvermeidlich. Doch bald hatten wir den großen Bogen heraus. Wir lernten auch das Kreuzen und fuhren mit, gegen den Wind sowie quer zum Hang. Dies war wohl die schneidigste und mutigste Phase beim Skisegeln. Mit Rückenwind zur Amalienruh', ging es nach dem Wenden in Schußfahrt wieder abwärts. Am halben Hang wurde ein langgezogener Kristiania gedreht, warf in diesem Augenblick das Segel wieder halbseitlich auf den Rücken und querte in voller Geschwindigkeit den Hang, mit dem Körper nicht zum, sondern vom Hang im starken Winddruck des Segels sozusagen liegend. Ließ der Winddruck nur wenig nach, gab es auch hierbei schwere Stürze.
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Meine treuen Regattakameraden waren die Skilehrer der Wiesenbaude, von denen vor allem Otto und Gustl Berauer mit ganz großem Können das Skisegeln meisterlich und vollendet beherrschen. Otto Berauer erreichte bei Rauhreifschnee eine gestoppte Geschwindigkeit von 90 Stundenkilometer, und Gustl, nahm mit seinen Rübezahlskräften 5‑7 Skifahrer am Seil mit. Die Strecke Heinrichbaude‑Wiesenbaude (3 km) durchfuhren wir mit Rückenwind in drei Minuten. Nach jedem längeren Start hatte man einen ungewöhnlichen Muskelkater der Rückenmuskeln, die bei diesem Sport wohl am meisten in Anspruch genommen wurden. In einer Dankbarkeit, die mein ganzes Leben durchzieht, gedenke ich heute besonders meines besten und treuesten Bergkameraden Otto Berauer, des Sohnes der Berge und wahren Kameraden in manch schwerer Bergnotstunde.
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Version vom 17. März 2018, 11:55 Uhr

Quelle: Riesengebirgsheimat – Heimatblatt für die ehemaligen Kreise Trautenau und Hohenelbe – 8. Folge, August 1950

Aus der Geschichte der Riesengebirgsbauden

325 Jahre Wiesenbaude

Als im Jahre 1869 Wenzel Hollmann, der damalige Besitzer der Wiesenbaude, die sogenannte "Wasserradstube" umbaute, stieß der Spaten auf einen Stein, der, grob behauen und mit der eingemeißelten Jahreszahl 1623 versehen, sich als sichtbarster frühester Zeuge der alten Wiesenbaude entpuppte. Er wird vielleicht noch heute seinen Ehrenplatz im Verandamauerwerk der Wiesenbaude behauptet haben.

Dieser Findling dürfte aus dem steinernen Fundament stammen, auf dem nach dem Brande im Jahre 1625 die Keimzelle der heutigen Baude im Angesicht der Koppe erwuchs. Das einfache Blockhaus vor 1625 ragt mit seiner Geschichte in die Sage hinein, in welcher das älteste menschliche Thema der Liebe und der Glaubenskampf der damaligen Zeit den Stoff gestalteten.

Nach Beendigung des Dreißigjährigen Krieges wird die Sankt Laurentius-Kapelle auf der Koppe in den Jahren von 1668 bis 1681 erbaut. Die Bauarbeiter entdecken, so erzählen zeitgenössische Berichte, zu ihrem Erstaunen in der grenzenlosen Einsamkeit der weißen Wiese eine Baude, in welcher die "Renner-Leute" hausen.

Die geweihte Kapelle ist nicht der letzte Anlaß, daß der Besuch der Koppe in den Sommermonaten sich immer mehr einbürgert und Hampel- wie Wiesenbaude sind die Stationen vor der endgültigen Besteigung. In einem zeitgenössischen Bericht heißt es, daß die Mehrzahl der Reisenden, obgleich sie zum Sonnenaufgang auf der Koppe früh aufzubrechen hatten, ihre heiteren Unterhaltungen bis in die späten Nachtstunden in der Baude aufrechterhielten, ohne Rücksicht auf die Ruhe schweigsamerer Schlafgenossen zu nehmen. Mädchen und Frauen, junge Burschen und alte Männer suchten sich, so gut es ging, im Heu eine Schlafstelle. In der Baudenstube bildeten die Diele oder die Ofenbank die Ruhestätte. Der Gast, der hier nächtigte, konnte dann beim Erwachen Zeuge eines interessanten Familienlebens werden. Aus allen Ecken krochen die kleinen Wirtskinder, deren jede Baude eine erstaunliche Anzahl beherbergte. "Ein einziges Röckchen wird vom Leibe geschüttelt und dient als Kopfkissen, die harte Bank oder Diele dient als Unterbett, Haut und Hemde sind die Decke."

Die Wiesenbaude galt schon in jenen Tagen nicht nur als alte, sondern auch als reiche Baude, und als in der letzten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Kraft des Weißwassers, arbeitend im sogenannten "Buttergewerke", ausgenützt wurde, geriet durch diese technische Tat die Baude in vieler Leute Mund und lockte immer mehr Besucher. Manch einer ergötzte sich daran, wie die findigen Wirtsleute sogar die Wiege durch das Weißwasser treiben ließen.

Schon verhältnismäßig zeitig muß die Wiesenbaude auch im Winter eine Stammbesatzung gehabt haben. W. Christian Weiß erzählt in seinen "Wanderungen in Sachsen und Schlesien" (Leipzig 1796), daß die Wiesenbaude im Winter einen Viehstand von 17 Kühen und 12 Ziegen, im Sommer mehr als den doppelten hatte. "Man sieht überall Wohlhabenheit und in wirtschaftlichen Dingen sogar Überfluß in ihr. Der Wirt war eben im Begriff, in ein böhmisches Städtchen zum Jahrmarkt zu reisen, und wir sahen ihn dazu eine weiße Weste von gutem Sommerzeug mit bunter Kante und einen ganz städtischen Rock anlegen."

Theodor Körner, der zu seinen Zeiten das Rübezahlgebirge nicht nur wegen seiner landschaftlichen Schönheiten schätzte, sondern sein Herz so beiläufig in der Alten Schlesischen Baude verloren hatte, war nach einem alten Gästebuch am 21. September 1809 Besucher der Wiesenbaude, und es dürfte nicht ausgeschlossen sein, daß auch Ludwig Richter wie Caspar David Friedrich, die uns Riesengebirgsbilder jener Zeit schenkten, die bekannte Baude am Fuß des Brunnberges besuchten.

Auch Karl v. Holtei übernachtete am 24. August 1818, von einer Koppenbesteigung kommend, in der Baude. Er fand dort den Besitzer, "den Vater Renner, einen heiteren Greis", Brot knetend, seine Frau, "ein kleines, bewuschpertes (lebendiges) Figürchen", Käse machend, die Tochter Monika, "ein hübsches Ding" und deren Bruder, "einen rüstigen Knaben vom Berge". Holtei widmete der Wiesenbaude für´s Gästebuch ein längeres Sonett.

Als 1833 das alleinstehende Sommerhaus infolge stetig wachsenden Besucherstromes erbaut werden muß, das durch seinen umbauten Verbindungsgang zum Haupthaus noch in der Erinnerung vieler sein wird, schlug man an den damaligen Neubau folgende Inschrift: "Erbaut in diesem Jahr, da die wahrheit noch Teuer war. Dieses Haus stehet in Gottes Hand beim Augustin Renner wird es genannt. Anno 1833."

Unter der Obhut Jakob Renners, des Sohnes des eben Genannten, der ein vorzüglicher Wirt war, ereignete sich die mysteröse Geschichte mit der Falschmünzerbande. Fünf rätselvolle Gäste, hier oben aller polizeilichen Nachforschungen sicher und wohl getarnt durch den dauernd wechselnden Besucherstrom, fallen dem Wirt schon lange auf. Er erzählt einem Besucher, einem höheren böhmischen Justizbeamten, von den eigenartigen Gästen. Als auf dessen Veranlassung eine umfassende Durchsuchung der Baude angeordnet wird, entdeckt man erstaunliche Vorräte an silbernem Falschgeld und das dazugehörige Werkzeug.

Herloßsohn, ein Wanderer aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts, schildert 1849, daß er zu seinem Erstaunen den gewaltigen Kachelofen der Wiesenbaude mitten im Juli geheizt fand. "Landleute aus Böhmen, Handwerksburschen, Bergwanderer, Führer überfüllten die geräumige Wirtsstube. Obgleich viel Wäschezeug um den Ofen hing und sehr viele Pfeifen dampften, was einen unangenehmen Dunst verbreitete, ward uns doch bald wohl auf behaglichem Sitz an einem Extratisch in der Wärme bei einer Labung von Forellen, Wein, Eierkuchen, Koppenkäse. Auch fehlte lustige Musik von Geigen, Clarinetten und Brummbaß nicht."

Jakob Renner, der tüchtige Wiesenbaudenwirt, schon einige Jahre im Ausgedinge lebend, findet unterhalb der Kapelle am Paßsattel zwischen Brunn- und Hochwiesenberg im Schneesturm den Bergtod, fast an der gleichen Stelle, wo 1798 sein Oheim beim Holzfahren tödlich verunglückte. Auch die Tochter Monika ist an dieser Stelle 1856 dem Erfrierungstode nahe. Ihr Junge Johann rettet sie im letzten Augenblick. Drei Jahre vor diesem Unfall hatte eben ihr Mann, Wenzel Hollmann, die Baude übernommen. Sein Sohn Johann Hollmann, der seine Mutter einst vom Bergtode errettete, verkaufte die 1875 wesentlich aufgestockte Baude an Christoph Häring ein Jahr nach der Erweiterung. Zehn Jahre später erwerben sie die Gebrüder Bönsch, die aus der Wiesenbaude, nicht zuletzt mit dem rasch aufblühenden Wintersport als Helfer, die "Wiese" zu der "kleinen Stadt" auf dem Kamme machten, wie die meisten von uns sie noch in Erinnerung haben.

In der "Wiese", wie die Baude kurzweg im Mundgebrauch der Gebirgler genannt wurde, trafen sich die Zünftigen Sommer wie Winter. Zum immerwährenden Treffen der Gleichgesinnten und Gäste ließ Meister Soucoup die Zither klingen, während auf enger und engster Tanzfläche die Paare in der rauchdurchwölkten Luft zu tanzen versuchten. Derweilen flammte vom höchsten Punkt der mehrere Stockwerk hohen Baude das starkkerzige Blinkfeuer durchs tobende Wetter, das denen, die noch unterwegs waren, den Weg zur Baude wies. Den Strom für diese Anlage und die gesamte Baudenbeleuchtung lieferte ein eigenes Elektrizitätswerk, das von der Kraft des jungen Weißwassers, die einst auch das "Buttergewerke" in Bewegung setzte, getrieben wurde. Seine Wartung besorgte u. a. auch Herbert Beutel (heute Deggendorf im Bayrischen Walde). Er wurde einst in Ausübung dieses Postens von einem Schneebrett im Weißwassergrunde verschüttet, von der Rettungsmannschaft der Wiesenbaude (Otto Berauer, Emil Bönsch. Franz Ruhs, Adalbert Wießner und Franz Klein) wie durch ein Wunder lebend geborgen. Die "Kölnische Illustrierte" brachte seinerzeit dieses Riesengebirgserlebnis als gestalteten Tatsachenbericht. Voll besetzt waren immer die Tische der "Skischule Wiesenbaude", die durch die Namen der drei Berauer, Adolf, Otto und Gustel, dem späteren Skiweltmeister der Nordischen Kombination (1939 Zakopane), zu einem Begriff des Riesengebirges wurde. Adolf, der älteste, starb durch die Tschechen, Otto, der vitale, liebenswerte Bursche, fiel im Kriege. Sein tiefbraunes Gesicht, in dem blau wie der Riesengebirgshimmel an einem Märzsonnentage die Augen leuchteten, wird jedem, der ihn kannte, unvergessen wie die Riesengebirgsheimat selber bleiben.

Als einziges sichtbares Andenken seines vielfältigen Skilehrer- und Rennläuferlebens (Bürgermeister von Petzer war er auch später) hing an der Wiesenbaudenwand das Foto seines Quersprunges vorn dorfkirchturmhohen Dach der Baude in die riesige Schneewehe, die zum steten Winterinventar des Hauses auf der Koppenseite gehörte.

Ganz im dunklen Hintergrunde hinter dem langen Schanktische, dem gewöhnlichen Besucher kaum auffallend, dem Wiesenbaudenstammgast vertraut wie all die anderen markanten Merkwürdigkeiten der großen Baude, saß Urahn Vinzenz Bönsch senior. Seine hagere, zähe Gebirglergestalt lebte gewissermaßen in dem hohen Lehnstuhl. Prüfend und mit innerer Anteilnahme verfolgte er den kaum abebbenden Betrieb seiner Baude, die bis auf wenige Wochen im Jahr fast immer Hochbetrieb hatte. Als er einst die wunderbar gelegene Baude mit übernahm, mögen sich vielleicht in seiner kühnsten Pionierphantasie einmal diese Baudenbilder gezeigt haben. Daß sie noch zu seinen Lebzeiten Wirklichkeit wurden, schenkte ihm Freude an seinem langen Lebensabend. Manch alten Wiesenbaudenfreund sah man bei diesem Schöpfer des alten Wiesenbaudengeistes sitzen und die Erinnerung ging nur zu gern in vergangene Zeiten, die uns jüngere Bergwanderer fast so ehrfürchtig anmutete wie die, da noch der vielfältige Wundergeist des alten Rübezahls in unserem lieben Heimatgebirge waltete.

Hinter der Theke aber herrschte "Onkel Emil" und der Flugzeugführer des ersten Weltkrieges, Eugen Bönsch, der heute in Österreich, auch nicht mehr der Jüngste, sich schwer sein Brot verdienen muß. Er verknüpfte mit der Wiesenbaude den Begriff der Segelfliegerei und in Zusammenarbeit mit Herbert Beutel das bisher nur im Riesengebirge gepflegte Skisegeln. Wenn in der Nacht zum 1. Mai Eugens Geburtstag wie ein gewaltiges Walpurgisfest gefeiert wurde, fiel dies Baudenereignis zumeist mit des Riesengebirges letztem großen Skirennen, dem internationalen Mairennen (Abfahrtslauf im Wörlichgraben) zusammen, in welchem festliches Erlebnis und sportlicher Winterausklang sich glückhaft, unter der Teilnahme bester alpiner Kräfte der Alpen und des Schwarzwaldes, unvergeßlich verband.

Es würde zu weit führen, alle die aufzuzählen, welche durch ihre Persönlichkeiten den Typ der riesenhaften Wiesenbaude prägen halfen.

Unsere Bauden in Rübezahls Reich waren, das mag der kurze kulturgeschichtliche Aufriß skizziert haben, Kristallisationspunkte deutscher Kolonistenarbeit und gemütlicher, herzlicher Lebensfreude in dem Heimatgebirge, in welchem sich die Weichheit des Südens mit der Wetterhärte des Nordens trefflich band. Wie magnetisch zogen diese Bauden Wander- und Winterfreunde an.

Alles vorbei ... alles vergessen?

Wir berichten nun nichts Neues, dürfen dies aber als die letzten Striche an dem Bilde der Wiesenbaude nicht vergessen. Hans Fuchs, der als Enkel des alten Vater Bönsch die im Oktober 1938 zerstörte Wiesenbaude schon einmal wiederaufgebaut hatte, hat nach schicksalverwirrter Wanderung, aber immer erfüllt und nicht zuletzt getrieben vorn Geist der "alten Wiese", sie gewissermaßen neu gebaut. Heißt sie auch heut nach dem Mundgebrauch ihrer Allgäuer Berge die "Kahlrückenalpe", so nennt sie doch jeder Schlesier und Sudetendeutsche einfach, er kann es eben nicht anders, die "neue Wiesenbaude". Dahin wallfahren jetzt viele der Verstreuten, sparen oft ein Jahr und länger, um zu dieser Sennhütte in 1200 Meter Kammhöhe bei Sigiswang über Sonthofen zu kommen.

Wie in jenen Tagen von Krummhübel oder Petzer, steigt man heute von Sonthofen oder Fischen an die zwei Stunden, je nach Fußbegabung, zu Berg, begleitet von ähnlichen blechgestanzten Markierungstafeln, wie sie Sitte an der historischen Stangenmarkierung des Riesengebirges waren. Neuerdings verkehrt ab Bahnhof Sonthofen bis Sigiswang ein Autobus zweimal täglich von den Hauptzügen. Dann schafft man es ab Café Sigisfried in etwa 35-40 Minuten. In der Hörnergruppe und dem Rangiswanghorn, das mit 1615 Metern Schneekoppenhöhe "übernommen" hat, sucht man die Konturen der Rübezahlberge erinnernd und ist beglückt, auf der Speisekarte der Hütte Wiesenbaudenspezialitäten wiederzufinden.

Wo in Restdeutschland werden so viele "Weißt du noch ... ?" von Berg- und Skifreunden in schlesischer und sudetendeutscher Mundart über den Holztisch gewechselt und der wehmütige Klang verliert seine Schwere, weil ringsum Berge und die gastliche Herzlichkeit dessen ist, der gewissermaßen durch seine Tatkraft es verstand, eine wahrhaftige Riesengebirgsbaude für uns alle in seinem Vertriebenengepäck mitzunehmen.

Geka




Quelle: Riesengebirgsheimat – Heimatblatt für die ehemaligen Kreise Trautenau und Hohenelbe – 8. Folge, August 1951

Skisegeln an der Wiesenbaude

Von Herbert Beutel

Wohl kein Gebirge Mitteleuropas eignete sich so ideal zum Skisegeln als gerade das wellige Hochplateau rings um die Wiesenbaude im Riesengebirge. Und doch mußten Jahrzehnte vergehen, ehe dieser Pionierarbeit voller Erfolg beschieden war.

Es war das Jahr 1929. An der Wiesenbaude kam ein neuer Sport zur Geltung. Mein Onkel Eugen Bönsch, der bekannte Kampfflieger des ersten Weltkrieges, flog seine Segelflugzeuge über die Höhen des Riesengebirgskammes und bildete mit dem später berühmten Edmund Schneider aus Grunau bei Hirschberg, dem Erbauer der ersten Wiesenbaudensegelflugzeuge, und einem Prager Fluglehrer die ersten Segelflieger aus. Auch ich gehörte zu den ersten geprüften Segelfliegern und bekam dadurch ein besonderes Interesse für Auf‑ und Fallwinde sowie Winddruck am Hang. So kam ich auf die Idee, nicht nur segelnd zu fliegen, sondern auch mit Skiern zu segeln. Unter Anleitung meines erfahrenen Flugonkels baute ich mir den ersten Skisegelapparat. Er bestand aus einem Trägergestell, eine Art Rucksackgestell, an dem durch Scharniere zwei Flügel ‑ Schmetterlingsform ‑ aus Sperrholzplatten beweglich befestigt waren: die ich mit Griffen bei ausgestreckten, seitlich waagerechten Armen festhalten konnte. Alter Anfang war schwer, und mancher Flügel brach und begrub mich unter seinen Trümmern. Neue Flügel wurden in verschiedenen Größen unentwegt gebaut. Man nannte mich in dieser Zeit spöttisch den Amorherbert. Da fand ich durch Zufall am Boden zwei riesengroße und starke Bambusstangen, an deren Ende noch Ringe befestigt waren. Mein Onkel Emil Bönsch, der ja schon Jahrzehnte vor mir auf der Wiesenbaude war, konnte mir diesen rätselhaften Fund erklären. Kein Geringerer als Herr Geheimrat Dr. Weinhold aus Breslau, ein treuer, lieber und verehrter Gast der Wiesenbaude bis in sein hohes Alter, hatte damit vor Jahrzehnten sein erstes Skisegel gebaut. Es war ein Dreiecksegel von riesiger Größe, und wohl Rübezahl selbst hätte damit Erfolg haben können. Mir gaben jedoch diese beiden Stangen, die einen langen Dornröschenschlaf auf der Wiesenbaude gehalten hatten, neue Ideen, neuen Mut und Hoffnung.

Seit die Segelflugzeuge "Wiesenbaude I und II", die "Krummhübel", die "Burkbraun", der Zweisitzer "Bad Warmbrunn" im friedlichen Flug über Grenzen flogen, kamen auch bekannte Flieger zur Baude. Wolf Hirth landete in der Nähe der Wiesenbaude, und die Weltrekordfallschirmpilotin Lola Schröter landete bei einem Bergturnfest im Fallschirm an der Wiesenbaude. Lola Schröter verschaffte mir aus einer Flugzeugfabrik Leichtmetallstangen und ein Berliner Segeltucherzeuger die Leinwand zum Bespannen des Segels. Es entstand das erste schnittige, leichte und handliche Skisegel "Wiesenbaude l".

Jedem neuen Anfang und Beginnen stand wohl Rübezahl mit Grollen entgegen. Er wehrte sich mit seinen Kräften in langer Zeit, wenn Eindringlinge aus Tälern und Städten und Kinder seiner Berge sich erkühnten, in sein Heiligtum und stilles Bergreich im menschlichen Ansturm einzudringen. Auch Flugzeuge stürzten, Segelflugzeuge zerbrachen, Skisegel zerflatterten, Lawinen rollten, und Sportler des Skisports kamen oft in schwere Bergnot. Doch Rübezahl söhnte sich wohl mit allen aus, und Mittler wurden seine Bergkinder, die still und bescheiden ihr herbes, entbehrungsreiches Leben in nimmermüder und regsamer Schaffensarbeit sich seinen Gesetzen liebevoll unterordneten und so Rübezahls Reich erschlossen, das der Kraftquell und Gesundbrunnen so vieler Menschen wurde.

So stand auch unserem Skisegeln nach vielen Mißerfolgen doch noch ein beachtlicher Erfolg zu. Von Norden, Osten und Westen strömten Rübezahls Druckwinde mit unverminderter Kraft zum Hochplateau, und bald fuhren wir mit dem richtigen Skisegel wie Rübezahls Kobolde umher, und mancher Skifahrer wird an Spuk geglaubt haben, wenn wir bei Nebel in eilender Geschwindigkeit an ihm gespensterhaft vorbeihuschten.

Unsere langerprobten Segel hatten eine Größe von 3,5 bis 4 Quadratmeter. Die beschafften Leichtmetallstangen wurden in T‑Form aneinandergeschweißt, an deren Enden sich ebenfalls Ringe zum Festhalten der gespannten Leinwand befanden. Die Leinwand wurde beschriftet, und so hatten wir schon eine kleine Regatta von 4 Skisegeln.

Im Windschatten der großen Wiesenbaude gingen wir zum Start. Die Skier in leichter Stemmstellung, kämpfte man schon gegen den ersten Winddruck an. Im Schlittschuhschritt ging es nun in den vollen Wind, der uns mit steigender Geschwindigkeit den Brunnberg hochtrieb. Es war nicht leicht, bei voller Geschwindigkeit und stärkstem Winddruck das Segel vom Körper (Rücken) zu bekommen. Dies mußte ruckartig geschehen, um es, mit der linken oder rechten Hand hochhaltend, im Winde flattern zu lassen. Dieser Augenblick war stets an der Anblaskante am Gipfel des Brunnberges gegeben. In voller Fahrt, das Segel hochhaltend und im Winde flattern lassend, fuhren wir um die Amalienruh', das Gipfelwahrzeichen des Brunnberges, herum, um in Schußfahrt wieder abwärts zu gleiten. Verpaßte man diesen Augenblick an der Anblaskante, wurde man in fliegender Geschwindigkeit gegen den Blaugrund gejagt. Dann waren schwere und schmerzliche Stürze unvermeidlich. Doch bald hatten wir den großen Bogen heraus. Wir lernten auch das Kreuzen und fuhren mit, gegen den Wind sowie quer zum Hang. Dies war wohl die schneidigste und mutigste Phase beim Skisegeln. Mit Rückenwind zur Amalienruh', ging es nach dem Wenden in Schußfahrt wieder abwärts. Am halben Hang wurde ein langgezogener Kristiania gedreht, warf in diesem Augenblick das Segel wieder halbseitlich auf den Rücken und querte in voller Geschwindigkeit den Hang, mit dem Körper nicht zum, sondern vom Hang im starken Winddruck des Segels sozusagen liegend. Ließ der Winddruck nur wenig nach, gab es auch hierbei schwere Stürze.

Meine treuen Regattakameraden waren die Skilehrer der Wiesenbaude, von denen vor allem Otto und Gustl Berauer mit ganz großem Können das Skisegeln meisterlich und vollendet beherrschen. Otto Berauer erreichte bei Rauhreifschnee eine gestoppte Geschwindigkeit von 90 Stundenkilometer, und Gustl, nahm mit seinen Rübezahlskräften 5‑7 Skifahrer am Seil mit. Die Strecke Heinrichbaude‑Wiesenbaude (3 km) durchfuhren wir mit Rückenwind in drei Minuten. Nach jedem längeren Start hatte man einen ungewöhnlichen Muskelkater der Rückenmuskeln, die bei diesem Sport wohl am meisten in Anspruch genommen wurden. In einer Dankbarkeit, die mein ganzes Leben durchzieht, gedenke ich heute besonders meines besten und treuesten Bergkameraden Otto Berauer, des Sohnes der Berge und wahren Kameraden in manch schwerer Bergnotstunde.




Wiesenbaude-1902.jpg Baudeneingang im Sommer 1902

Wiesenbaude-foto-hans-bönsch.jpg Gaststube, Foto Hans Bönsch


Eugen Bönsch [1]

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